Leadership, Führung, Management – was schafft Europa?

Ein Essay von Elmar Niederhaus

Elmar Niederhaus_BuchLeadership, Führung, Management – was schafft Europa? Wir Europäer denken in Ursache und Wirkung. Dieses Denken formt unsere Geistesgeschichte. Heute können wir Europäer stolz darauf sein, was viele Generationen vor uns für Europa beispielsweise in Kunst, Dichtung, Technik und Medizin hervorgebracht haben. Europa ist ganz eng mit dem Begriff schaffen verbunden. Die Vielfalt in Europa schafft viel. Vielfalt schafft Europa!

Wenn wir heute über Europa sprechen. Wenn wir also darüber reden, was Europa ist, dann ist dieses Sprechen von der Erfahrung der beiden großen Kriege des 20. Jahrhunderts geprägt. Die menschliche Katastrophe der Weltkriege führte die Europäer in die fundamentale Erkenntnis, dass Gewalt, dass Krieg niemals mehr ein Mittel sein darf, um nationale Interessen durchzusetzen.

Europäische Gesellschaften besitzen und formulieren nationale Interessen und streben danach diese auch umzusetzen. Dies tun sie weiterhin und sie tun es zu Recht. Allerdings eint nunmehr Europas Staaten der Gedanke, unterschiedliche Interessenlagen mit friedlichen Mitteln zu balancieren.

Dies steht am Anfang des Nachdenkens darüber, was die Idee, die Vorstellung Europas als einer Gemeinschaft von Nationalstaaten nach der Katastrophe des zweiten Weltkrieges sein kann. Von hier gehen alle Überlegungen aus, die darauf abzielen, ein gemeinsames Verständnis als auch gemeinsame Instrumente zur Lösung von Konflikten, zur Gestaltung von Prozessen der Vermittlung von Interessen zu finden.

Europa als Projekt schöpferischer Zukunftsgestaltung

Dieses gemeinsame Verständnis, Konflikte friedlich zu lösen, ist in den Gedanken von Jean Monnet fundamental verankert. Seine Idee von Europa ist die eines Projektes der schöpferischen Zukunftsgestaltung. Ob wir Europa als ein solches Projekt verstehen, wahrnehmen und mit Leben erfüllen, zeigt sich insbesondere daran, wie Führungskräfte aus Politik und Wirtschaft aktuelle und strategische Aufgaben handhaben. Sie sorgen, bei allen individuellen Interessen, Aktivitäten und Unterschieden, für das schöpferische Moment in ganz Europa.

Europa einigt sich

Was meint Europa und was meint Einigung? Meint Europa nur eine „Konstruktion“, die den Krieg verhindern soll? Ist Europa nur die bloße Vereinbarung, Interessenunterschiede anzuerkennen und mit friedlichen Mitteln auszugleichen? Für mich war und ist Europa mehr. Europa ist die Gegenwart menschlicher Vielfalt durch friedliche Einigung.

Der Anfangsgrund einer europäischen Idee ist die Erfüllung des friedlichen Miteinanders der Vielfalt menschlichen Seins in Gemeinschaften moderner Gesellschaften in Europa. Das ist die Verheißung Europas. Europa als Vorstellung eines „Raumes“, der durch die Vielfalt, die Vielfältigkeit der Menschen, ihrer Kulturen, Wünsche und Träume entsteht, sich ständig neu gründet und eint.

Die Menschen in diesem Europa leben in dieser wechselseitigen Abhängigkeit von Vielfalt und friedlicher Einigung oder besser: in dieser Perspektive bilden die Menschen mit ihrer Vielfalt, in ihrer Vielfältigkeit eine europäische Gemeinschaft, in der sie sich zur wechselseitigen Erfüllung gemeinsamer Aufgaben verpflichten, verpflichtet fühlen.

Der Bürger als Führungskraft

Als Menschen gewinnen wir die Zukunft, weil wir uns als Gemeinschaft wahrnehmen und als Gemeinschaft zusammenwirken. Menschliche Neugier, Erfindergeist und die Fähigkeit Wissen, Erkenntnisse hervorzubringen, mit anderen Menschen zu teilen und mit anderen Menschen zu kooperieren sind zugleich Ursache und Wirkung dieses modernen Lebens.

Der Bürger, die Idee des Bürgers ist die institutionalisierte Form menschlichen Seins. Bürger bilden das Bindeglied zwischen Gemeinschaften und Gesellschaften. Gemeinschaften sind ohne Gesellschaften möglich. Gesellschaften existieren nur dann, wenn Gemeinschaften sich darauf verständigen, sich darauf einigen. Das Wesen menschlicher Gemeinschaften besteht im natürlichen Phänomen, sich zur wechselseitigen Erfüllung von Aufgaben verpflichtet zu fühlen. Dieses begründet überhaupt erst menschliches Sein für sich und in Gemeinschaften.

Gesellschaften entstehen durch Einigung. Menschen einigen sich darauf, dass sie Träger von Rechten sind – Menschen- und Bürgerrechten, die ihnen uneingeschränkt zustehen. Diese können sie wahrnehmen und einfordern. Ihre Grenzen finden sie in der verfassungsmäßigen Ordnung, den Rechten anderer und allgemeinen Sittengesetzen (Schranken-Trias). Das Konzept Bürger versieht den Menschen mit Rechten, mit gleichen Rechten.

Es entfernt ihn aber auch vom natürlichen Phänomen menschlichen Seins in Gemeinschaften – der Verpflichtung zur wechselseitigen Erfüllung von Aufgaben. Heute sehe ich eine zunehmende Überlagerung, eine zunehmende Verdrängung des natürlichen Phänomens menschlichen Seins durch das Bürger-Konzept.

Immer mehr Lebenssachverhalte werden der Regulierung, der Verrechtlichung anheim gestellt und damit der Eigenverantwortung entzogen. Dies führt Gemeinschaften und Gesellschaften gleichermaßen in die organisierte Verantwortungslosigkeit.

Unternehmen als politische Akteure

Unternehmen agieren heute als politische Akteure im öffentlichen Raum, weil sie aktiv und engagiert an Prozessen der Interessenvermittlung teilnehmen. Sie sind somit selbst Akteure des öffentlichen Diskurses über Ziele, Aufgaben und Interessen moderner Gesellschaften.

Der Wandel der Medien und der Kommunikation stellt Unternehmen heute in den Fokus der Öffentlichkeit. Ihr Tun oder Nichtstun macht sie zu politischen Akteuren des gesellschaftlichen Teilbereichs Wirtschaft. Als solche gestalten sie ihre Interessenvertretung in Politik und Wirtschaft.

Nach wie vor nutzen sie als Mitglieder von Verbänden die klassische Variante der Vermittlung von Unternehmensinteressen, um im politischen Raum Mehrheiten für die Umsetzung ihrer Unternehmensziele zu organisieren. Sie gehen aber auch neue Wege. Mit Public Affairs Management oder Corporate Social Responsibility setzten sie beispielsweise selbst moderne Instrumente politischer Kommunikation ein. Sie gestalten damit auf der Makro- und Mikroebene als Handlungsfelder formeller und informeller Kommunikation Prozesse der Einflussnahme auf Meinungs- und Willensbildung in Politik und Wirtschaft.

Wohlstand durch Wandel – das magische Dreieck gestalten

Der gesellschaftliche Wandel ist da, er existiert. Im Grunde geht es doch nur um die Frage, ob wir diesen einfach geschehen lassen oder ihn anpacken. Wenn wir den Wandel anpacken, dann gestalten wir aktiv unser Zusammenleben. Wir sichern und entwickeln Werte, Rechte, Pflichten und Grundsätze nach denen wir leben wollen und die uns verbinden. Dadurch schaffen wir vertraute, sichere und stabile private und öffentliche Räume.

Was sind heute die zentralen Treiber und Aufgaben des Wandels und wer erfüllt diese?

Aus meiner Sicht liegen unsere Chancen und Herausforderungen in den Feldern Energiewende, Digitale Welt und Mobilität. Diese sind heute die drei Eckpunkte eines „Magischen Dreiecks“ des Wandels. Im Verbund bieten sie uns alle notwendigen Ressourcen zur erfolgreichen Sicherung und Entwicklung unseres Wohlstands.

Führungskräfte sind Menschen in exponierten Positionen. Sie agieren im Zentrum des Geschehens. Daher kommt ihnen bei der Umsetzung der Energiewende, der Gestaltung der unaufhaltsamen Durchdringung unserer Welt durch Informationstechnologien und bei der Entwicklung einer zukunftsweisenden Mobilität, also kurz: beim gesellschaftlichen Wandel eine besondere Verantwortung zu.

Energiewende

Ohne Energie ist unser Leben in dieser modernen Form nicht denkbar. Wir können das Rad der Zeit nicht zurückdrehen, und das will im Grunde auch keiner. Aber wir können das Rad in Bewegung halten, um es eine bestimmte Richtung zu lenken. Entscheidungen in Politik und Wirtschaft über die Art und Weise, wie und wo wir Energie erzeugen, sie transportieren, speichern und bereitstellen, sind von grundlegender Bedeutung. Diese Entscheidungen beeinflussen in hohem Maße unser Leben. Ob wir morgens pünktlich zur Arbeit kommen, ob Präsentationen stattfinden können, ob Handwerker defekte Fenster reparieren – modernes Leben braucht Energie.

Digitale Welt

Die Digitalisierung begründet ein neues Paradigma in der Kommunikation moderner Gesellschaften. Dies hat enorme Auswirkungen auf die Art und Weise, wie wir wirtschaften. Geschäftsmodelle verändern sich, Produkte und Dienstleitungen funktionieren in der digitalen Welt ganz anders. Annahmen, Überzeugungen und Konventionen stehen plötzlich in Frage.

Nehmen wir das Beispiel „Geistiges Eigentum“. Bisher galt die Zusage, dass Eigentum das Recht ist, andere von der Verfügung darüber auszuschließen. Heute ist gerade das Teilen von Eigentum, also der Zugang anderer in das Verfügen, die Grundlage für neue Geschäftsmodelle. Der Begriff des Eigentums hat über zweihundert Jahre funktioniert. Das Internet stellt dies in Frage. Nein, nicht nur in Frage, es fegt die analoge Vorstellung von Eigentum hinweg.

Er geschieht jetzt – der fundamentale Wandel von der analogen hin zur digitalen Welt.

Mobilität

Mobilität ist heute viel mehr, als mit dem Auto von einem Ort zum anderen zu fahren. Räumliche Distanzen mehr oder minder schnell und bequem zu überbrücken, ist nur ein Teilaspekt. Mobilität im 21. Jahrhundert ist die gesamte Dynamik der Standortveränderung von Gedanken, Ideen, Texten, Waren, Dienstleistungen, Kapital. Mobilität im Sinne von mobil sein, bedeutet doch für uns, dass wir an jedem Ort und zu jeder Zeit mit anderen Menschen verbunden sind.

Die technologischen Innovationen in der Informations- und Kommunikationstechnik haben „Social Media“ erst möglich gemacht. Diese Entwicklung ist ein Quantensprung in der Fähigkeit des Menschen zur Kommunikation. Datenautobahnen bewegen mehr Bits und Bytes als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit. Dabei sind diese beiden Begriffe nur auf den ersten Blick technischer Art.

Mit ihnen werden Menschen rund um den Globus miteinander verbunden. Sie begründen nicht nur in technischer Hinsicht eine neue Welt, sondern auch und gerade aus der menschlichen Perspektive. Eine Welt, deren konstitutives Moment das Teilen und nicht das Abschotten von Ressourcen ist. In dieser Sicht ist Mobilität das Bewegen von Ressourcen – materieller und geistiger!

Leadership, Führung, Management

Was sind Leadership, Führung und Management? Es sind Instrumente, Methoden, Stile, Techniken, die menschliches Sein in Gemeinschaften und Gesellschaften gestalten. Wie die Überschrift zeigt, stehen die drei Begriffe in einer Aufzählung neben einander. Insofern nehme ich hier keine Gewichtung vor. Der gewählte Ansatz lässt alle Varianten, Wertungen offen.

Es ist die Verbindung aus Leadership, Führung und Management. Es ist deren Zusammenspiel aus Vision und Handeln in Verantwortung, aus Teilen von Fähigkeiten, Kenntnissen und Ressourcen sowie aus konsequentem Planen und Umsetzen von Maßnahmen, wodurch Führungskräfte gemeinsam nachhaltige Lösungen finden, gemeinsam Werte schaffen. Nur die Vielfalt aus Leadership, Führung und Management ermöglicht es, Europa als Aufgabe, als einen ständigen Prozess der schöpferischen Zukunftsgestaltung wahrzunehmen, zu verstehen, anzunehmen.

Krise als Chance

Krisen sind Chancen. Jede Krise ist neu und folgt ihren eigenen Regeln. Die europäische Öffentlichkeit spricht immer davon, dass sie aus der Krise gelernt hat. Experten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft werden nicht müde, immer wieder zu sagen, wir hätten aus der Krise gelernt und sind deshalb auf die nächste gut vorbereitet. Solche Statements befremden mich eher, als dass sie Vertrauen in Leadership, Führung und Management schaffen.

Wer glaubt, dass er gewappnet sei, weil er aus vorhergehenden Krisen gelernt habe, der irrt!

Derjenige, der beim Auftauchen der Krise mit vermeintlichen Lösungsstrategien und Instrumenten aus der letzten Krise agiert, der handelt zu spät. Im Grunde reagiert er nur noch. Maßnahmen werden dann schnell als alternativlos bezeichnet. Dieses Denken und Handeln fürchtet Krisen und verstellt den Blick für deren Chancen. Es folgt dem Zwang, den Status Quo zu erhalten und ist immer nur mit dem Eindämmen von Krisen befasst.

Keine Krise ist wie die andere. Was sicher ist, worauf wir uns verlassen können, ist, dass Krisen mit einer gewissen Regelmäßigkeit auftreten. Das können wir auch nicht verhindern. In diesem Bewusstsein sollten wir aufmerksam sein, um frühzeitig die Anfänge einer Krise wahrzunehmen. Dies schafft Gestaltungsspielräume, um Chancen von Krisen zu nutzen.

Fazit und Ausblick

Wenn Europa für uns ein Projekt der schöpferischen Zukunftsgestaltung ist, dann liegt unser Augenmerk auf den Fundamenten menschlichen Seins in Gemeinschaften und in Gesellschaften.

Dann führen wir öffentliche Debatten über alternative Lösungsansätze im Lichte gemeinsamer Freiheit und Verantwortung. Dies schafft Visionen, dies gibt Orientierung und setzt Kräfte frei für die schöpferische Gestaltung aktueller und strategischer Aufgaben. Dies eröffnet Chancen und Herausforderungen. Damit sichern und entwickeln wir unseren europäischen Lebensraum als Versprechen auf Erfüllung menschlicher Vielfalt durch friedliche Einigung.

Insofern folgen wir als Europäer der Vision von Jean Monnet. Er sprach von Europa als einem Projekt der schöpferischen Zukunftsgestaltung. Ich würde dies ergänzen wollen um den Gedanken: als einen Prozess der ständigen schöpferischen Zukunftsgestaltung als Bedingung für Entwicklung und Sicherung von Wohlstand. Nehmen wir diesen schöpferischen Auftrag jetzt an und schaffen Europa!

Über den Autor:

Elmar Niederhaus_BuchElmar Niederhaus ist Politologe und Experte für politische Kommunikation. Seine Spezialität ist die Analyse von Machtbeziehungen und Sprache als Machtressource politischer Führung auf der Makro- und Mikroebene politischer und wirtschaftlicher Systeme. Seine Leidenschaft ist die Organisation von Kommunikation. Im Sommer 2013 hat er als Autor und Herausgeber das Werk Leadership für Politik und Wirtschaft veröffentlicht. Außerdem ist er Mitglied im Fachbeirat des Wirtschaftsforums Düsseldorf. Dort ist er zuständig für Fragen strategischer Kommunikation in den Feldern Politische Kommunikation, Politikmanagement, Leadership und Social Media.

Über den Beitrag:

Der Beitrag ist angelehnt an das Buch Leadership für Politik und Wirtschaft. Gemeinsam sozio-ökonomische Probleme lösen von Elmar Niederhaus und Helmut Fuchs (Hrsg.). Außerdem sind Eindrücke des Autors eingeflossen aus der diesjährigen Veranstaltung Finanzforum Vordenken der Plansecur Finanzgruppe. Vorbildlich in Führung gehen: neue Impulse für die Zukunft Europas.

Kommunikation zum Beitrag:

Reden Sie mit Elmar Niederhaus über „Leadership, Führung, Management – was schafft Europa? Schreiben Sie jetzt eine Email an elmar.niederhaus@gmx.net.